Kreativität sollte eine größere Rolle spielen!
Marcel Schneider hat sich einen Namen gemacht als Opernball-Coiffeur,
aber vor allem auch als regelmäßiger Organisator von
Benefizveranstaltungen zugunsten von Kindern, die häufig nicht auf der
Sonnenseite des Lebens stehen.
Der Frisörmeister, der sich als
„Partner im Bündnis für Familie“ versteht, hat aber auch viel Erfahrung
in der Ausbildung junger Menschen und spricht darüber im Familienblog:
„Viele Tausend Ausbildungsplätze bleiben in unserem Land Jahr für Jahr unbesetzt! Ein Grund dafür ist, nach meiner Meinung, die Fehleinschätzung vieler Eltern, dass ihr Kind unbedingt nach der 4.Klasse das Gymnasium besuchen muss.
Warum wollen wir schon 10-Jährigen den Stempel „Gymnasiast“ auf die Stirn drücken?
Ich halte es auch für fatal, dass Werken, Handarbeit und alle
kreativen Fächer in unseren Schulen einen geringen Stellenwert haben.
Dabei
benötigt unsere Gesellschaft dringend Fachkräfte in allen Sparten des
Handwerks! Ein Handwerksmeister verdient heutzutage oft mehr als jemand,
der studiert hat.
Leider haben noch zu viele Eltern vom Handwerk das
Bild des geringen Verdienstes und des „Knochenjobs“, was so einfach
nicht mehr stimmt.
Was benötigt ein Auszubildender, der als Frisör seinen Weg gehen will?
Ein gewisses Talent – auch im Umgang mit Menschen. Eine gewisse Kreativität.
Und,
auch wenn man das auf den ersten Blick nicht glauben mag: Er muß einen
anständigen Dreisatz beherrschen! Ja, ein Frisör braucht mathematische
Kenntnisse Tag für Tag, um zum Beispiel Mischungsverhältnisse beim
Färben zu berechnen. Chemische Grundbegriffe, der Umgang mit
Gefahrenstoffen, Wissen über die menschliche Haut… die Fachtheorie
unseres Berufszweiges ist sehr umfangreich.
Was die Bezahlung
betrifft, so kann ich nur sagen, dass bei mir deutlich über dem
Mindestlohn gezahlt wird und dass ich selber ein großer Befürworter
bundeseinheitlicher Tarifverträge bin. Auch Meisterbriefe und
Abiturzeugnisse sollten, meiner Ansicht nach, nicht von Bundesland zu
Bundesland unterschiedlich ausfallen können.
Stolz macht mich, dass ich in 20 Jahren 20 Auszubildende erfolgreich begleitet habe.
Die letzte Auszubildende bekam für ihren Notenschnitt von 1,15 sogar eine Ehrenurkunde der Regierung von Mittelfranken.
Etliche
meiner früheren Lehrlinge haben ihren Meister gemacht, sind
mittlerweile selbständig oder haben ein Studium an ihre Ausbildung
angehängt: Das spricht doch für die Zukunftsorientierung, die das
Handwerk jungen Leuten bietet!
Wir haben in Deutschland mit der dualen Ausbildung ein System, um das uns viele in Europa beneiden.
Ich kann mich nur wiederholen: Kreativität sollte, gerade in den Mittelschulen, eine größere Rolle spielen.
Der Lehrplan sollte praxisorientierter sein. Und ein frühes
„Aussortieren“ von Kindern im Schulsystem ist fatal, denn der Knoten
platzt bei manchen erst später.
Ich selber habe an der
Bertolt-Brecht-Gesamtschule sehr von der Orientierungsstufe profitiert,
die ein gemeinsames Lernen noch in der 5. und 6. Klasse ermöglichte.
Wenn
wohlhabendere Eltern ihre Kinder mit Bezahlung intensiver Nachhilfe
durchs Schulsystem boxen können, dann fördert das Ungleichheit in
unserer Gesellschaft.
Manche Eltern tun ihren Kindern für den künftigen Berufsweg auch keinen Gefallen, wenn sie deren Unselbständigkeit zu lange stützen. Ist es wirklich nötig, dass so viele Eltern ihre Kinder täglich mit dem Auto zur Schule fahren? Ist es nicht gesünder, dass Kinder ihren Weg bei jedem Wetter selber zurücklegen und sich unterwegs mit ihren Freunden und Schulkameraden auseinander zu setzen lernen?
Fehlt es nicht in vielen Elternhäusern heutzutage an persönlicher Kommunikation und gemeinsamen Unternehmungen?
Ich selber plädiere stark dafür, dass Eltern den Umgang mit Smartphone und Tablet in der Familie kritisch hinterfragen.
Und dafür, dass Familien einmal am Tag eine gemeinsame Mahlzeit einnehmen, um sich dabei auch untereinander auszutauschen!
80 Prozent meiner Auszubildenden hatten Migrationshintergrund, aktuell bilde ich auch einen jungen Flüchtling aus.
Meine Meinung ist: Egal, ob ein junger Geflüchteter einmal in seine
Heimat zurückkehren muss, sollte er hier arbeiten oder eine Ausbildung
machen dürfen! Dadurch nimmt er oder sie ja auch wertvolle Kenntnisse
für den Aufbau des Heimatlandes mit. Es können ja auch Menschen von der
Flucht nach Deutschland abgehalten werden, wenn sie in ihren
Herkunftsländern mehr Zukunftschancen vorfinden.
Wichtig ist mir,
dass alle Auszubildenden unser Grundgesetz und die damit verbundenen
Werte respektieren! Selbstverständlich hat ein junger Geflüchteter, der
bei mir lernt, auch von vornherein einer Frau die Haare zu waschen und
Frauen respektvoll zu behandeln – auch, wenn das in seinem Herkunftsland
nicht möglich wäre.
Die deutsche Sprache zu beherrschen: Das ist
einfach unverzichtbar, um den theoretischen Teil der Ausbildung zu
bestehen! Aber auch, weil der Umgang mit Menschen, die Nähe zum Kunden
so eine große Rolle spielen.
Ich bin mir auch als Lehrherr meiner Verantwortung bewusst,
Auszubildende charakterlich zu prägen und jungen Leuten Umgangsformen mitzugeben, die sehr wichtig sind.
Manche
„graue Maus“ konnte ich schon erleben, die sich zum stolzen Schwan
entwickelte. Man muss junge Menschen einfach fordern, ihnen aber auch
Zeit geben für ihren Reifeprozess.“